Eröffnung am Montag, dem 26. November 2018,
19.00 Uhr am Haupplatz 6, Graz
Einführung durch Günther Holler-Schuster
Ausstellungsdauer bis 20. Dezember 2018
Das Rätsel, was auf einem Teppich dargestellt ist und ob überhaupt die Möglichkeit realistischer Darstellung in diesem Zusammenhang besteht, ist ein zentraler Forschungsgegenstand in diesem Kontext. Die Formulierungen der Teppiche, von denen wir fälschlicherweise denken, sie seien abstrakt und auf ornamentale Strukturen reduziert, sind voller Botschaften, Erzählungen und Bilder. Man kann bis ins 4. Jahrhundert vor Christus zurückblicken, zum, eine Begräbnisprozession zeigenden Pazyryk-Teppich und zu den zeitgleich entstandenen skythischen Filzteppichen und wird dabei immer wieder auf mehr oder weniger deutliche Darstellungen von Figuren, Tieren, Pflanzen, Landschaften, Fabelwesen und Gegenständen unterschiedlichster Art treffen. Ob in armenischen Textilien mit unzähligen Kameldarstellungen, chinesischen Teppichen mit Kranichen und Tigern, kaukasischen Drachen-Teppichen oder den Jagd-Teppichen der Safawiden, wo ganze Szenen dargestellt werden: überall finden sich realistische, teilweise auch sehr stark stereotype Darstellungen narrativen Inhalts.
Man kann grob zwei Arten solcher Teppiche definieren: Die einen folgen der Tradition der Vereinfachung, wobei die Figuren soweit reduziert werden, dass sie beinahe Piktogrammen ähneln. Meist waren deren Produzenten Nomaden. Ihre handwerkliche Potenz zwar ausgeprägt, das intellektuelle Raffinement, wie es bei der höfischen Kunst gegeben ist, aber fehlt hier. In diesen Stücken leben die Sagen, Märchen, Mythen und vorislamischen Traditionen weiter.
Die zweite Richtung stammt wesentlich von Knüpferinnen und Knüpfern, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts Illustrationen der höfischen Buchmalerei aufgenommen haben. Da diese Teppiche vielfach im Iran entstanden sind, handeln sie von persischer Liebeslyrik (Khosrow und Shirin, Layla und Majnun), nationalen Heldenepen (Schah-name) oder anderer klassischer Dichtung. Die persischen Erzählungen werden grundsätzlich nicht nur oral übertragen, sondern sind wesentlich auch aus der Buchmalerei, den Fayencen oder als Hinterglasmalerei bekannt und gleichsam allgegenwärtig. Eine Transformation ins Geknüpfte erscheint somit durchaus plausibel. Realistische Darstellungen, die den Eindruck von geknüpfter Malerei vermitteln, sind die Folge – eine Tradition, die bis zu den heutigen „Kriegsteppichen“ aus Afghanistan reicht.
Das Klischee, dass der Islam jedwedes Abbild verbietet, muss an dieser Stelle relativiert werden – ein derartiges Verbot ist in keiner Stelle des Korans zu finden. Abbildungen sind grundsätzlich im nichtreligiösen Zusammenhang erlaubt. Im sakralen Zusammenhang, beispielsweise im geheiligten Rahmen der Moschee, ist die bildliche Darstellung tabu. Man kann vereinfachend feststellen, dass auf Gegenständen, die zum Sitzen oder Begehen konzipiert sind, figürliche Abbildungen erlaubt sind. Durch den trivialen Gebrauch fällt die Gefahr des Götzenbildes weg.
Wenn man das Beispiel des im Iran allgegenwärtigen Löwen betrachtet, sieht man beispielsweise den Unterschied zwischen sunnitischer und schiitischer Auslegung des Islam: Die persische Kunst kennt das Motiv des Löwen seit etwa 3000 Jahren. Noch vor etwa 100 Jahren wurden für Gräber berühmter Krieger steinerne Löwen geschaffen. Im schiitischen Islam steht der Löwe für Ali ibn Abi Talib, den Schwiegersohn des Propheten und den ersten Imam der Schiiten – Ali ist der „Löwe Allahs“. Zusammen mit dem Schwert und der Sonne ist der Löwe bis heute das Wappentier des Irans. Auch Alis Nachfahren wurden somit mit dem Löwen in Verbindung gebracht und werden bis heute durch ihn repräsentiert. In allen Kulturen, in denen der Löwe auftaucht, symbolisiert er dieselben hohen Eigenschaften – Stolz, Mut, Kraft, Autorität, Männlichkeit. Dass es sich anders verhalten kann, zeigt das Beispiel der Enten. Für uns ist das Bild der Ente mit einer Anzahl von Eigenschaften verbunden, die ins Komische reichen – plump, quakend und watschelnd. Man fühlt sich bei uns eher an Comicfiguren erinnert, die durch ihre Schläue ihr scheinbar körperliches Ungeschick wettmachen können. Nicht so im Orient. In Teppichen mystischen Inhalts finden sich oft Enten. Der syrische Autor Ghanim al-Maqdisi klärt bereits im 12. Jahrhundert auf: In seinem Buch „Kashf al-asrar“ (Die Enthüllungen der Geheimnisse) beschreibt er die symbolische Bedeutung der Enten als vollkommene Wesen. Sie schwimmen auf allen Gewässern, gehen aufs Land und erheben sich in die Lüfte. Sie sind also in jedem Element zu Hause, was sie magisch und würdig für mystische Inhalte macht. Die profane Haltung dieser Tiere als Nutztiere oder als lieblich verniedlichtes, tollpatschiges Lebewesen das Kinder zu amüsieren vermag, spielt in dieser Kultur keine Rolle.
Die Galerie Reinisch Contemporary wendet sich in dieser Ausstellung eher den Teppichen zu, die abstrahierte, schematisierte Abbildungen aufweisen. Diese folgen teilweise vorislamischen Traditionen, die sich in allen nomadischen Gesellschaften von Generation zu Generation gehalten und weiterentwickelt haben. Oder sie sind eindeutige Zeugnisse der jeweiligen Lebensrealität, auch der modernen – Wachstum und Vergehen, Lebenserhalt, Arbeit und Religion. Die Vorbilder können dabei in dunkler Vorzeit liegen, in der antiken Welt, die beispielsweise durch die Reste von Persepolis im Iran bekannt sind oder aus anderen Kunstformen – Bronzen, Schnitzerei, Keramik. Meist sind es, dem bäuerlichen Kontext entsprechend, Tiere, die als Träger des Inhalts fungieren. Dabei kommen Nutztiere (Kamele, Ziegen, Enten) genauso vor wie heraldische Tiere (Löwen, Adler, Pfaue) oder Fabelwesen (Drachen, Phönixe, Greife). All diese Kreaturen erhalten in den entsprechenden Gegenden unterschiedliche Bedeutungen. Manche, beispielsweise die heraldischen Tiere, finden sich im gesamten Teppichgürtel von China bis Nordafrika. In einer Zeit, die nicht unserer visuell geprägten Gegenwart entspricht, waren diese Teppiche gleichsam bestimmender Teil der allgemeinen visuellen Umgebung der Menschen – mit ihnen fasste man die sichtbare Realität ins Bild und verband sie mit der Gedankenwelt – die Imagination einer von spiritueller Kraft beseelter Wirklichkeit. Des Menschen Nöte, Bedürfnisse und Sehnsüchte, Hoffnungen und Befürchtungen verdichten sich in diesen Bildern zu einem ständig parallel existierenden Kosmos.
Günther Holler-Schuster