ARNULF RAINER – AKTE

Eröffnung am Freitag, dem 16. Dezember um 19.00 Uhr Galerie Reinisch Contemporary, Hauptplatz 6, 8010 Graz
Einführung: Manuela Schlossinger
Das Arnulf Rainer Modell Sarah Gold wird von Schauspieler Philipp Hochmair interviewt.
Zur Ausstellung erscheint eine Publikation.

Eintritt nur für geladene Gäste. Anmeldung unter 0699/12381422 oder hr@reinisch-graz.com.


„Ich möchte ein Alterswerk schaffen, das ganz anders aussieht und Sanftmut und Milde, die wir im Alter ja alle bekommen, ausstrahlt.“

Arnulf Rainer, 2015

Arnulf Rainer zählt zu den großen Meistern der Kunst in Österreich. Sein mittlerweile über sechs Jahrzehnte spannendes Schaffen zählt zu den Fixpunkten der europäischen Kunstgeschichte. Er gilt als Begründer des Informel in Österreich und erlangte bereits früh mit seinen Übermalungen internationale Beachtung. Die aggressive Überarbeitung von Fotografien seines eigenen Körpers führte ihn auf der Suche nach neuen bzw. archaischen Möglichkeiten der Körpersprache auf den Weg, den Katalog der menschlichen Emotionen zu erweitern. Ein dringendes Verlangen, das auch vielen folgenden Werkgruppen zu Grunde lag. Während bei den frühen Übermalungen das Vorhandene ausgelöscht wurde, gelang es Rainer, mit den Face Farces und Body Poses den Ausdruck seines eigenen Körpers zu erweitern. Radikal führte er die Suche bei den Werkgruppen der Totenmasken und Fingermalereien fort und schuf so bis zum Ende der 1980er-Jahre einen Werkkomplex, der sich kompromisslos und konsequent darstellt. 

Bei den Werkgruppen der alten Meister sowie Klimt und Schiele von 2013 entwickelte Rainer dieses Vorgehen um eine wesentliche Stufe weiter. Kein Faksimile diente mehr als Vorlage, sondern Motive von zum Beispiel Gustav Klimt, Egon Schiele, Paul Gauguin, Eduard Manet und anderen wurden mithilfe von Modellen nachgestellt, fotografiert und in die Reproduktion der Vorlage eingebaut. Das European Cultural Center rund um Rene Rietmeyer stand Rainer, wie schon Künstlern wie Cy Twombly, Hermann Nitsch und Yoko Ono, für das langjährige Projekt zur Seite. Die Organisation eröffnete Rainer bei der Vorbereitung der Vorlagen durch den Einsatz von Photoshop völlig neue Möglichkeiten und baute nicht nur nach Anweisung des Künstlers die Vorlagen zusammen, sondern stellte auch die Modelle sowie Fotografen und organisierte die Reisen nach Teneriffa, wo die Fotoshootings im Atelier des Künstlers stattfanden. 

Der wesentliche Unterschied zu vorangegangenen Überarbeitungen alter Meister oder Frauenakten war der aktive Eingriff in das Motiv durch die Leitung und Anleitung der Fotoseancen durch Rainer selbst.

Ganz anders aber ergab sich durch die Vorgaben der alten Kunstwerke eine Richtung, die Rainer durch seine Anleitung der Fotomodelle verändern oder verstärken konnte. Er führte Regie, wählte Ausschnitte und dirigierte das aktive Zusammenspiel von Motiven, Modellen,  Fotografen und Grafikern in Hinblick auf das ausgewählte Werk des jeweiligen Künstlers, den er schätzte, um eine ideale Vorlage für seinen späteren Dialog mit dem Bild zu schaffen. 

Die extrem lebendige und vitale Farbigkeit des Großteils der Arbeiten sticht besonders ins Auge und zeugt von einer Energie und Freude am Schaffen, die bei der Betrachtung der einzelnen Werke deutlich zu spüren sind. 

Mit zarten Schlieren aus Farbe, breiten, sich überlagerten Pinselstrichen und/oder grafischen Eingriffen mit Graphit reagierte er auf die Vorlagen. Er kleidet sie in Farbe, unterstreicht wiederholend Konturen und lässt den Blick auf Brüste und Scham manchmal nur durch einen Schleier aus Farbe zu. Die oftmals mandelförmigen Ausschnitte, die beim Übermalen mit breiten Strichen entstehen, erschaffen eine voyeuristische Perspektive und betonen, was Rainer am Motiv am wichtigsten ist. Er reagiert mit seinem schöpferischen Eingriff auf die Bedürfnisse des Bildes, ergänzt im Dialog Ebenen, die es will und braucht. Die malerische Kommunikation erfolgt energisch und dicht oder zart und einfühlsam und ergänzt das Werk um die emotionale Komponente des Künstlers. 

Eine ähnliche Vorgangsweise, aber ganz ohne Vorbild aus der Kunstgeschichte, findet sich bei der Werkgruppe Bondage von 2014. Während Klimt und Schiele oder die Alten Meister von einer noblen Erotik zeugen, ist bei diesem Zyklus nichts subtil. Rainers Interesse an der japanischen Kulturleistung des Bondage oder Shibari in Verbindung mit dirigierten sexuellen Handlungen zweier weiblicher Modelle manifestierten sich in einer schonungslos expliziten Werkgruppe. 

Sadistische und masochistische motivische Elemente vermischen sich mit den provokant direkten Blicken aus dem Bild heraus und den leidenschaftlich gesetzten malerischen Eingriffen auf der Vorlage. Diese Eingriffe sind rasend und wild, der Dialog intensiv und expressiv. Die Farbe umschlingt die Protagonistinnen oftmals in leidenschaftlicher Umarmung und umkreist Gesicht und Körper, bis ein heftiger Wirbel entsteht, der wichtige Stellen unterstreicht und andere fast auslöscht oder zudeckt. 

Das direkte Planen und Lenken der fotografischen Vorlagen ist in Rainers Werk nicht ohne Beispiel. Allerdings beeindruckt diese Werkreihe mit ihrer schieren Intensität. Die Modelle reagieren auf Rainers Regieanweisungen und geben sich enthemmt der Kamera hin. War das Übermalen bei den Arbeiten der Werkgruppe der Alten Meister bis zu einem gewissen Grad ein Dialog mit einem anderen Künstler, so leitet Rainer schon bei der Erschaffung der Bondage-Fotos ein Selbstgespräch ein. Kein anderer Meister muss beachtet werden, nur das Produkt seiner eigenen Schöpfung stellt sich dem Gespräch mit dem Künstler. Was als größter Kontrast zu Rainers berühmten Arbeiten der frühen Zeit hervorsticht, ist der positive Ansatz, der Schöpfungsdrang, der Wille, sich auf kommunikativer Weise mit den selbst geschaffenen Vorlagen auseinanderzusetzen ohne den destruktiven, aggressiven Angriff auf den Malgrund.

Die Existenz und die eindeutige Bildsprache der Bondage-Werkreihe kratzen gleich an mehreren Tabus. Manchen werden die expliziten, sexuellen Darstellungen zu direkt sein, andere werden sich an der Tatsache stoßen, dass ein alter Mann Werke mit jungen Frauen schuf. Die eindeutige intime Konnotation der leidenschaftlichen Werkreihe lässt auf eine mit der Selbstverständlichkeit der künstlerischen Freiheit umgesetzte sexuelle Komponente schließen, ohne die Arbeiten wie diese unmöglich wären. Wenn ein Künstler seine Sexualität durch seine Werke auslebt, käme jegliche Einschränkung der künstlerischen Freiheit einer Zensur gleich. Schon 1984 rügte Erwin Ringel die prüde österreichische Gesellschaft für ihren ungesunden Zugang zu Sexualität im Alter. Er zitierte die vorherrschende Meinung, dass es eine Altersgruppe sei „(…), die man auch am liebsten als eine asexuelle oder, wie man in Wien sagt, als „jenseits von Gut und Böse“ ansehen möchte.“ Rainer ist kein Einzelfall, bei dem im reifen Alter durch extreme Produktivität jugendliche, lusterfüllte und lebensbejahende Werke entstanden.

Was Arnulf Rainer jedenfalls gelungen ist, ist ein Spätwerk zu schaffen, das anders ist. 

Den möglichen konservativen Stimmen, die es als Werk eines alternden Künstlers mit mangelnder Selbstkritik betiteln, kann man entgegnen, dass dieselbe Kritik Künstlern wie Pablo Picasso und Francis Picabia für ihr erotisches Alterswerk entgegenschlug, bis es Jahre später in umfangreichen Museumsausstellungen rehabilitiert wurde. 

Manuela Schlossinger

Reinisch Contemporary