27. Februar – 22. März 2014
In einer von Globalisierung und dem Auflösen von Ferne und Nähe geprägten Weltentwicklung ist es naheliegend, sich diesbezüglich auch künstlerische und kulturelle Dynamiken anzusehen. Das geschieht massiv im Bereich der Gegenwartskunst – man denke nur an die Großveranstaltungen im Rahmen der bildenden Kunst in letzter Zeit.
Plötzlich treten kulturelle Traditionen, die üblicherweise als hermetisch gelten und bisher nur für einige Spezialisten von Interesse waren, ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Eine Sparte, die sich gerade in diesem Kontext aktuell einer gewissen Konjunktur erfreut, ist die Textilkunst.
Vielerorts – von München bis Paris – fanden und finden Ausstellungen statt, die das künstlerische Arbeiten mit Textilien zeigen. Dabei spielen auch Teppiche und verschiedene gewebte Erzeugnisse eine bedeutende Rolle. Die Bild- und Formenvielfalt der geknüpften und gewebten Stücke wird nicht selten mit den Bildern der okzidentalen Kultur in Verbindung gebracht. Parallelen – bewusst, oder unbewusst entstanden – sind vorhanden und äußern sich auf unterschiedlichste Weise.
Wenn die Galerie Reinisch Contemporary sich in dieser Ausstellung Marokkanischen Kelims widmet, ist das ein sehr bestimmter Bereich der künstlerischen Auseinandersetzung. Mit dem Kelim verbindet man meist die flachgewebten Produkte aus zentralasiatischer Tradition bzw. Persiens, Anatoliens bis hin nach Bosnien. Kelims waren in der Hierarchie immer unter den Knüpfteppichen angesiedelt – als solche lange Zeit gleichsam Nebenprodukte. Als Einrichtungsgegenstände prägten sie vielfach das private Ambiente gehobener Bürgerlichkeit – auch in Österreich. Man darf nicht vergessen, dass Österreich bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts gleichsam Nachbar des Orients war.
Der Kelim ist durch seine Materialität und seine technischen Voraussetzungen enger limitiert, als der geknüpfte Teppich, bei dem mannigfaltigere formale Lösungen möglich sind. Entsprechend komplex sind bspw. die Formen der Kelimkunst in den klassischen Herkunftsländern. Die Abstraktion geht dabei mit der geometrischen Verdichtung von ursprünglich konkreten Elementen (Tiere, Pflanzen, oder Fabelwesen) einher.
Die Teppichkultur Marokkos unterscheidet sich vom Rest – sicherlich auch durch seine geografische Randlage – wesentlich. Viel freier und weiter weg von den klassischen Formen der Vorläufer Asiens haben sich in dieser Region Eigenständigkeiten entwickelt, die gerade im Zusammenhang mit der Moderne, aber auch später, begeistert bemerkt wurden.
Näher dem narrativen Bild und dem Gegenstand – meist ist es die Landschaft – muss der marokkanische Kelim gesehen werden. Sowohl in der Farbe, als auch in den Formen lassen sich die sanften Dünen und die je nach Jahreszeit sich präsentierenden Felder, Wiesen und Wüsten sehr gut erkennen. Neben diesen erzählerischen Kelims mit hoher Bildwirkung gibt es auch die Tradition der geometrischen Abstraktion. Nicht unähnlich der bildenden Kunst, hat sich auch in diesem Zusammenhang eine Dualität zwischen gegenständlicher Lesbarkeit bzw. Illusion und abstrakter Zweidimensionalität entwickelt. Diese Stücke zeugen von komplexer Verdichtung im streng Ornamentalen.
In Kulturen, in denen sich das Tafelbild niemals etabliert hat, taucht die Frage auf, wodurch dies kompensiert wird. Teppiche, Kelims und diverse andere textile Erzeugnisse sind auf diese Weise auch Formen der Malerei, des Bildbewusstseins. Es sind Bilder, die einer Logik folgen, die wir aus sehr avancierten Forderungen der Avantgarde kennen – bspw. Multifunktionalität.
Das künstlerische Grundkonzept des Teppichs (auch des Kelims) inkludiert selbstverständlich den Zweck und die Funktion. Die ästhetische Autonomie, die im abendländischen Kunstwerk der Moderne bis zur Gegenwart gefordert wird, ist hier nicht zutreffend. Man hat es hier mit Bildern sowohl zum Schauen, als auch zum Berühren zu tun – sichtbares Gemälde und taktile Skulptur.
Günther Holler-Schuster