16. September – 16. Oktober 2014
Erwin Bohatschs Malerei ist von jeher von einer analytischen Vorgangsweise bestimmt. Mit der postmodernen Gleichzeitigkeit von künstlerischen Möglichkeiten taten sich neue Fragestellungen auf, die auch den Wert der Malerei zu hinterfragen begannen. Das lineare System der Moderne, das letztlich in der Abstraktion sein zentrales Anliegen formulierte, war mit der Postmoderne in Bedrängnis geraten. Sinnhaftigkeit und Möglichkeiten werden in Bezug auf das Medium Malerei plötzlich auf vielfache Weise diskutiert. Umberto Eco spricht von einer „neuartigen Organisation des gegebenen Materials“ und eröffnet damit auch eine Neubefragung bekannter Problemstellungen der Malerei. Kategorien wie „abstrakt“ und „gegenständlich“ relativieren sich vor diesem Hintergrund.
Das freie Spiel der Formen, die Gegenüberstellung und Verflechtung gegensätzlicher malerischer Realitäten, der intermediale, grenzüberschreitende Zugang sowie die Einbeziehung unkonventioneller Werkstoffe sind allgemein bis heute Ausdruck eines malerischen Selbstverständnisses. Bereits in den 1950er Jahren galt es, den fiktiven Bildraum des konventionellen Tafelbildes zu überwinden, um damit einen Bezug zum realen Umraum herzustellen. Das hat sich grundsätzlich nicht geändert, jedoch sind Mittel und Wege dahin vielfältiger geworden.
Erwin Bohatschs Gemälde waren bis vor Kurzem noch vom Ringen um das Allernotwendigste innerhalb der Malerei gekennzeichnet. Die minimal, meist auf nichtgrundierte Leinwand aufgebrachte Farbsubstanz (meist schwarz) erweckte dabei den Eindruck des Nebenproduktes bzw. des Primären. Keine Referenz an Gegenständliches, keine narrative Lesbarkeit und kein bewusster Ästhetisierungsvorgang sind dabei zu erkennen – „Flatness“. Vielmehr scheinen sich die Bildelemente wie zufällig auf der unbehandelten Leinwand zu verteilen. In Bohatschs neuesten Bildern entsteht durch die Organisation der Bildelemente – sie wird vielfach vom Material bestimmt – die Möglichkeit einer räumlichen Wahrnehmung. Flächen, Flecken und Linien ergeben plötzlich lesbare Strukturen. Linien, Flächen und die sparsam eingesetzte Farbe erzeugen die Illusion des Räumlichen – und weisen mitunter dem Betrachter einen Platz im Raumkontinuum des Bildes zu.
Die multiplen Raumstrukturen in Bohatschs neuen Bildern entfalten sich vor dem Betrachterauge um sich gleichzeitig wieder zu verwandeln. Ihre Verwandlungen enthüllen die den Formen innewohnende Rationalität. Die Räume erschaffen sich und bauen sich vor uns mit der Logik allgemeinen Wachstums auf. Der partizipative Anteil des Betrachters vervollständigt das visuelle Erlebnis und unterstreicht die Offenheit dieser Malerei. Die Illusion des Räumlichen ist seit der Erfindung der Perspektive eines der zentralen Anliegen der Malerei. Ihr Bezug zur Realität hat sich allerdings mannigfaltig verändert. So entwickelte sich zunehmend eine Realität, die die Malerei einer eigenen Logik unterwirft. Erwin Bohatschs multiple Raumstrukturen, die zwischen Zweidimensionalität und Dreidimensionalität oszillieren, zeugen von dieser Bildlogik, die sich aus dem malerischen Prozess ergibt. Die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Raumstrukturen im Bild erzeugt eine Atmosphäre, die nur mehr als Erinnerung an die tatsächliche Realität besteht und unsere Imagination herausfordert.
Günther Holler-Schuster