Eröffnung am Freitag, dem 01. März 2019
19.00 Uhr am Haupplatz 6, Graz
Einführung durch Günther Holler-Schuster
Ausstellungsdauer bis 30. März 2019
Um ein Künstler zu werden, muß man ein Künstler sein, und um es zu werden, wenn man es schon ist, dazu kommt man an das Bauhaus; und aus diesem Künstler wieder einen Menschen zu machen, das ist die Aufgabe des Bauhauses.
Otti Berger
Was die 1944 in Auschwitz zu Tode gekommene österreichische Designerin da anspricht, verblüfft uns heute. 100 Jahre nach der Gründung des Bauhauses erscheint die Feststellung, dass man am Bauhaus aus „Künstlern“ wieder „Menschen“ machen wollte, höchst aktuell. Sind es nicht Hauptforderungen an die Kunst von heute, gesellschaftsrelevant zu sein, Missstände aufzuzeigen, sich in soziale Prozesse direkt einzumischen oder politisch aktiv zu sein? Auch formale Kriterien sollten soweit funktionieren, dass sich Konventionen der Wahrnehmung verändern und nicht ausschließlich als Tradition weitergetragen werden.
Was hat das mit Teppichen zu tun? Die Galerie Reinisch Contemporary gehört zu den Häusern, die sich bereits sehr früh mit dem südwest-iranischen Gabbeh auseinandersetzten. Die Publikation „Gabbeh“ von 1986 zeugt davon genauso, wie das andauernde Interesse an diesen besonderen Stücken iranischer Stammeskunst. Die eher grob und schnell geknüpften Gabbehs stammen meist aus der Provinz Fars mit dem mächtigen Zagros Gebirge. Luren, Bachtiaren, Gaschgai und Kamseh sind im Wesentlichen die halbnomadischen Gruppierungen, die dort leben.
Niemals folgen diese Teppiche den klassischen Mustern. Ihre Symbolkraft ist höchst eigenständig und reicht zurück in vorislamische Zeiten. Archaik, Einfachheit und Klarheit zeichnen diese Knüpfwerke aus. Sie sind mitunter sehr bunt, können gegenständig lesbar erscheinen und Figuren, Tiere, Gegenstände oder Pflanzen zeigen. Meist – vor allem bei Stücken um 1900 und früher – sind sie abstrakt und farblich oft auf die Grundfarben reduziert. Sie sind Gebrauchsgegenstände und ursprünglich nicht für den Handel gedacht. Entsprechend spät wurden sie im Westen bekannt. Durch ihre verblüffende Nähe zu Formen moderner Kunst erscheinen sie dem abendländischen Betrachter vertraut. Das „gebildete“ Auge ist bestrebt, darin Kunst zu sehen. Die Klarheit der Formen oder die Beschränkung auf wenige starke Farben erzeugen eine visuelle Präsenz, die von der abstrakten Malerei bekannt ist. Das Bauhaus steht für einen erweiterten Kunstbegriff, der vom Auratischen weg zur Lebensnähe führt, womit auch das Design, die Web- und Textilkunst an prominente Stelle rückt und mit der Kunst auf gleicher Ebene verstanden werden soll.
Die Gabbehs sind Ausläufer ursprünglichster Formvorstellungen und Traditionen – keine Dekadenz, kein Manierismus. Die Moderne hat genau daraus Impulse zu ziehen versucht, um damit näher an „das Wesentliche“ der Kunst zu gelangen. Man hat zwar nicht voneinander gewusst, war sich aber geistig sehr nahe und erfüllte unbewusst Kriterien des jeweils anderen. Die Nomaden am Zagros haben ihre Lebensform teilweise seit nahezu ewigen Zeiten bewahrt. Ihre Gebrauchsgegenstände blieben dabei fast unverändert – so auch der Gabbeh. Die Knüpferin sah darin zunächst den Gebrauchswert, den wärmenden Teppich, der vor Einbruch des Winters fertig gestellt sein sollte. Zudem ergab sich eine weitreichende kreative Freiheit der Knüpferin, weil sie nicht marktorientiert arbeiten musste. Gabbehs schöpfen ihre Bildmächtigkeit in höchstem Maße aus der kraftvollen Spur, die in die Vergangenheit führt. Westliche Augen, die gerade einmal etwas mehr als 100 Jahre Erfahrung mit der abstrakten Kunst haben, empfinden diese Erzeugnisse als „modern“. In dieser Hybridsituation befinden wir uns heute oft, wenn es um Stammeskunst geht, um Handwerkstraditionen und deren Bezug zur industriellen bzw. digitalen Gegenwart.
Günther Holler-Schuster