ERÖFFNUNG: Montag, 4. Dezember 2017, 19.00 Uhr
Galerie Reinisch Hauptplatz 6, 8010 Graz
EINFÜHRUNG: Günther Holler-Schuster
In der Regel sind Teppiche Informationsträger, bestehend aus einem Netz aus Ornamenten, die meist aus stilisierten Pflanzen-, Tier und Menschendarstellungen gebildet werden. So hat sich kulturübergreifend ein System ergeben, das von China über Zentralasien und Anatolien bis Marokko zu einer Ausdrucksweise wurde, die archaisches Wissen und religiöse Bedeutungsebenen verdichtet. Die nomadische Kultur, der der Teppich grundsätzlich entspringt, trennt nicht zwischen vorislamischen und islamischen oder Symbolen anderer religiöser Vorstellungen. Vielmehr wurden durch Musterwanderungen und den Bedeutungswandel einzelner Muster Mischformen erzeugt die zu einer komplexen Zeichensprache geführt haben. Diese gibt uns heute unzählige Rätsel auf und ist konsequenterweise Anlass zu allerlei Deutungsversuchen. Auch ihre unterschiedlichen Funktionsweisen – als Taschen, Polster, Läufer, Speisetücher, Zeltbänder, etc. – sind vielfältig, aber selten noch aktiv. Der Teppich wurde somit vor allem im westlichen Abendland zum ästhetischen Fetischobjekt zwischen Bild und Funktionsgegenstand, heute meist losgelöst von seiner ursächlichen Bestimmung.
Verwunderlich erscheint dabei die Tatsache, dass es nicht nur ornamentierte Teppiche gibt, die durch ihre Musterstruktur mehr oder weniger eindeutig interpretierbar sind. Komplett monochrome Stücke finden wir vereinzelt in Tibet, bei manchen Tülüs in Anatolien und bei den Berbern Marokkos. Wie weit diese Tradition zurückgeht bleibt unbestimmbar – es finden sich in Zentralanatolien beispielsweise Kelims aus dem 18. Jahrhundert, die mit ein bis zwei Farben auskommen und die leere Fläche thematisieren. Die marokkanischen Beispiele stammen meist aus dem mittleren Atlas. Die häufig hochflorigen Teppiche aus Mrirt, Beni M’Guild, Boujad oder Oued Zem sind heute meist ab der Mitte des 20. Jahrhunderts verbreitet belegbar.
Von einem westlich-abendländischen Kulturverständnis aus betrachtet, erscheinen uns auch einfärbige Teppiche als Bilder. Ihre scheinbar abstrakte Monochromie beginnt sich im Prozess der Betrachtung aufzulösen, lässt unterschiedliche Lesbarkeit zu oder eröffnet zusätzliche Interpretationsmöglichkeiten. War das Gemälde bzw. das Bild seit der Renaissance (Alberti) als Fenster gedacht – in eine meist nicht vorhandene imaginäre Welt – so wird auch klar, wie wir uns betrachtend einer monochromen Fläche an der Wand nähern: Wir versuchen etwas Gegenständliches zu erkennen. Ähnlich muss es den Knüpferinnen der Berber ergangen sein, wenn sie einfärbige meist rote, oft blaue, selten grüne und orange-gelbe Teppiche erzeugten. Die Weite der Landschaft, die sanften Schwünge der Dünen, die bunte Vegetation im Gegensatz zur Kargheit der trockenen Berg-und Wüstenlandschaft, all das kommt in diesen monochromen Gestaltungen zum Ausdruck. Die Farbpsychologie ermöglicht es, die roten Teppiche als wärmend und die blauen als kühlend zu empfinden. Sie alle folgen der Logik des Teppichs als sowohl visuelles als auch taktiles Objekt.
Beeindruckend dabei ist die unheimlich reiche Farbpalette, die scheinbar das ganze Spektrum des Regenbogens ausnutzt. Die Natur in ihrer verdichtetsten Form tritt uns hier gegenüber – Stimmungen, Orte, Räume. Wie in monochromen Gemälden beispielsweise von Mark Rothko oder Barnett Newman, wird auch beim Teppich die Fläche zum Raum bzw. zum imaginären Kosmos grundsätzlicher Bedürfnisse und spiritueller Reflexion. Mit abstrakten Formen und monochromen Flächen, entstehen hier emotionale und geistige Räume, die zum Sinnbild von Werden und Vergehen gerinnen – der Farbraum als Teil einer vom Menschen scheinbar beherrschten Unendlichkeit.
Günther Holler-Schuster